Von der weltlichen Beichte zur ärztlichen Seelsorge Die psychotherapeutische Bedeutung der Beichte ist von verschiedenen Seiten wiederholt gewürdigt worden. Es zeigt sich immer wieder, daß der bloßen Aussprache als solcher
bereits eine wesentliche therapeutische Wirkung zukommt. Es gilt von der Aussprache ganz allgemein, gilt vom Aussprechen seelischer Not überhaupt. Mitgeteiltes Leid ist auch "geteiltes" Leid.
Was die Psychotherapie, im besonderen die Psychoanalyse, sein wollte, das war: weltliche Beichte; was die Logotherapie, im besonderen die Existenzanalyse, sein will, das ist: ärztliche Seelsorge. Dieser Satz darf nicht mißverstanden werden. Ärztliche Seelsorge soll kein Ersatz für Religion sein; sie will nicht einmal ein Ersatz sein für die Psychotherapie im bisherigen Sinne, sondern,
wie schon gesagt wurde, deren bloße Ergänzung. Wenn also ärztliche Seelsorge verdächtigt wird, ein Surrogat für Religion sein zu wollen, dann können wir nur sagen: nichts liegt ihr ferner. Auch in der Logotherapie oder
Existenzanalyse sind wir noch Ärzte und wollen es bleiben. Wir denken nicht daran, mit den Priestern zu konkurrieren. Allein wir wollen den Kreis ärztlichen Handelns ausschreiten und die Möglichkeiten ärztlichen Tuns
ausschöpfen. Ärztliche Seelsorge ist selbstverständlich kein Ersatz der eigentlichen und die ist und bleibt die priesterliche Seelsorge; aber es ist eine Zwangslage, die dem Arzt abverlangt, ärztliche
Seelsorge zu leisten. »Die Patienten sind es, die uns vor die Aufgabe stellen« (GUSTAV BALLY). »Nur zu oft ist die Psychotherapie darauf angewiesen, in Seelsorge auszumünden« (W. SCHULTE); denn »die
Psychotherapie... ist unvermeidlich, auch wo sie es nicht weiß noch wissen will, immer auch irgendwie Seelsorge ... Oft muß sie ausdrücklich seelsorgliche ... Eingriffe vornehmen« (A. GÖRRES)."
»Er mag das wollen oder nicht - in der Lebensnot außerhalb des Krankseins zu raten, ist dem Arzt vielfach heute an Stelle des Seelsorgers auferlegt«, und »man kann nicht ändern, daß die Menschen in Lebensnot heute zum
größeren Teil nicht den Seelsorger, sondern den lebenserfahrenen Berater im Arzt suchen« (H. J. WEITBRECHT); denn die von VICTOR E. V. GEBSATTEL so benannte »Abwanderung der abendländischen Menschheit vom
Seelsorger zum Nervenarzt« ist ein Tatbestand, dem sich der Seelsorger nicht verschließen, und eine Anforderung, der sich der Nervenarzt nicht versagen darf. |