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Stationen auf dem Wege zur Freiheit

 

Zucht.

Ziehst du aus, die Freiheit zu suchen, so lerne vor allem / Zucht der Sinne und Deiner Seele, daß die Begierden / und deine Glieder dich nicht bald hierhin, bald dorthin führen. / Keusch sei dein Geist und dein Leib, gänzlich dir selbst unterworfen, / und gehorsam, das Ziel zu suchen, das ihm gesetzt ist. / Niemand erfährt das Geheimnis der Freiheit, es sei denn durch Zucht.

Tat.

Nicht das Beliebige, sondern das Rechte tun und wagen, / nicht im Möglichen schweben, das Wirkliche tapfer ergreifen, / nicht in der Flucht der Gedanken, allein in der Tat ist die Freiheit. / Tritt aus ängstlichem Zögern heraus in den Sturm des Geschehens, / nur von Gottes Gebot und deinem Glauben getragen, und die Freiheit wird deinen Geist jauchzend umfangen.

Leiden.

Wunderbare Verwandlung. Die starken tätigen Hände / sind dir gebunden. Ohnmächtig einsam siehst du das Ende / deiner Tat. Doch atmest du auf und legst das Rechte / still und getrost in stärkere Hand und gibst dich zufrieden. / Nur einen Augenblick berührtest du selig die Freiheit, / dann übergabst du sie Gott, damit er sie herrlich vollende.

Tod.

Komm nun, höchstes Fest auf dem Wege zur ewigen Freiheit, Tod, leg nieder beschwerliche Ketten und Mauern / unsres vergänglichen Leibes und unsrer verblendeten Seele, / daß wir endlich erblicken, was hier uns zu sehen mißgönnt ist. / Freiheit, dich suchten wir lange in Zucht und in Tat und in Leiden. / Sterbend erkennen wir nun im Angesicht Gottes dich selbst.

Widerstand und Ergebung (DBW 8)

 

 


 

 

Teure und billige Gnade

Billige Gnade ist der Todfeind unserer Kirche. Unser Kampf heute geht um die teure Gnade.

Billige Gnade heißt Gnade als Schleuderware, verschleuderte Vergebung verschleuderter Trost, verschleudertes Sakrament; Gnade als unerschöpfliche Vorratskammer der Kirche, aus der mit leichtfertigen Händen bedenkenlos und grenzenlos ausgeschüttet wird; Gnade ohne Preis, ohne Kosten. Das sei ja gerade das Wesen der Gnade, daß die Rechnung im voraus für alle Zeit beglichen ist. Auf die gezahlte Rechnung hin ist alles umsonst zu haben. Unendlich groß sind die aufgebrachten Kosten, unendlich groß daher auch die Möglichkeiten des Gebrauchs und der Verschwendung. Was wäre auch Gnade, die nicht billige Gnade ist? ...

Teure Gnade ist das Evangelium, das immer wieder gesucht, die Gabe, um die gebeten, die Tür, an die angeklopft werden muß. Teuer ist sie, weil sie in die Nachfolge ruft, Gnade ist sie, weil sie in die Nachfolge Jesu Christi ruft; teuer ist sie, weil sie dem Menschen das Leben kostet, Gnade ist sie, weil sie ihm so das Leben erst schenkt; teuer ist sie, weil sie die Sünde verdammt, Gnade, weil sie den Sünder rechtfertigt ... Teure Gnade ist Menschwerdung Gottes ...

Mit der Ausbreitung des Christentums und der zunehmenden Verweltlichung der Kirche ging die Erkenntnis der teuren Gnade allmählich verloren. Die Welt war christianisiert, die Gnade war Allgemeingut einer christlichen Welt geworden. Sie war billig zu haben. Doch bewahrte die römische Kirche einen Rest der ersten Erkenntnis. Es war von entscheidender Bedeutung, daß das Mönchtum sich nicht von der Kirche trennte und daß die Klugheit der Kirche das Mönchtum ertrug. Hier war am Rande der Kirche der Ort, an dem die Erkenntnis wachgehalten wurde, daß Gnade teuer ist, daß Gnade die Nachfolge einschließt. Menschen verließen um Christi willen alles, was sie hatten, und versuchten, den strengen Geboten jesu zu folgen in täglicher Übung. So wurde das mönchische Leben ein lebendiger Protest gegen die Verweltlichung des Christentums, gegen die Verbilligung der Gnade ... Bei dem allen lag der entscheidende Fehler des Mönchtums nicht darin, daß es ... den Gnadenweg der strengen Nachfolge ging. Vielmehr entfernte sich das Mönchtum wesentlich darin vom Christlichen, daß es seinen Weg zu einer freien Sonderleistung einiger Weniger werden ließ und damit für ihn eine besondere Verdienstlichkeit in Anspruch nahm.

Als Gott durch seinen Knecht Martin Luther in der Reformation das Evangelium von der reinen, teuren Gnade wieder erweckte, führte er Luther durch das Kloster. Luther war Mönch. Er hatte alles verlassen und wollte Christus in vollkommenem Gehorsam nachfolgen. Er entsagte der Welt und ging an das christliche Werk. Er lernte den Gehorsam gegen Christus und seine Kirche, weil er wußte, daß nur der Gehorsame glauben kann. Der Ruf ins Kloster kostete Luther den vollen Einsatz seines Lebens. Luther scheiterte mit seinem Weg an Gott selbst. Gott zeigte ihm durch die Schrift, daß die Nachfolge jesu nicht verdienstliche Sonderleistung einzelner, sondern göttliches Gebot an alle Christen ist...

Luthers Weg aus dem Kloster zurück in die Welt bedeutete den schärfsten Angriff, der seit dem Urchristentum auf die Welt geführt worden war. Die Absage, die der Mönch der Welt gegeben hatte, war ein Kinderspiel gegenüber der Absage, die die Welt durch den in sie Zurückgekehrten erfuhr. Nun kam der Angriff frontal. Nachfolge Jesu mußte nun mitten in der Welt gelebt werden. Was unter den besonderen Umständen und Erleichterungen des klösterlichen Lebens als Sonderleistung geübt wurde, war nun das Notwendige und Gebotene für jeden Christen in der Welt geworden. Der vollkommene Gehorsam gegen das Gebot Jesu mußte im täglichen Berufsleben geleistet werden...

Man kann die Tat Luthers nicht verhängnisvoller mißverstehen als mit der Meinung, Luther habe mit der Entdeckung des Evangeliums der reinen Gnade einen Dispens für den Gehorsam gegen das Gebot Jesu in der Welt proklamiert; die reformatorische Entdeckung sei die Heiligsprechung, die Rechtfertigung der Welt durch die vergehende Gnade gewesen. Der weltliche Beruf des Christen erfährt vielmehr seine Rechtfertigung für Luther allein dadurch, daß in ihm der Protest gegen die Welt in letzter Schärfe angemeldet wird. Nur sofern der weltliche Beruf des Christen in der Nachfolge Jesu ausgeübt wird, hat er vom Evangelium her neues Recht empfangen. Nicht Rechtfertigung der Sünde, sondern Rechtfertigung des Sünders war der Grund für Luthers Rückkehr aus dem Kloster. Teure Gnade war Luther geschenkt worden. Gnade war es, weil sie Wasser auf das durstige Land, Trost für die Angst, Befreiung von der Knechtschaft des selbstgewählten Weges, Vergebung aller Sünden war. Teuer war die Gnade, weil sie nicht dispensierte vom Werk, sondern den Ruf in die Nachfolge unendlich verschärfte. Aber gerade worin sie teuer war, darin war sie Gnade, und worin sie Gnade war, darin war sie teuer. Das war das Geheimnis des reformatorischen Evangeliums, das Geheimnis der Rechtfertigung des Sünders.

Nachfolge (DBW4)

 

 


 

 

Erfülltes Leben trotz unerfüllter Wünsche

Die Sehnsucht ... wird in diesen gefahrvollen Tagen besonders stark sein, und jeder Brief wird sie nur vergrößern. Aber gehört es nicht zum Wesen des Mannes im Unterschied zum Unfertigen, daß das Schwergewicht seines Lebens immer dort ist, wo er sich gerade befindet, und daß die Sehnsucht nach der Erfüllung seiner Wünsche ihn doch nicht davon abzubringen vermag, dort, wo er nun einmal steht, ganz das zu sein, was er ist?

Der Heranwachsende ist nie ganz dort, wo er ist; das gehört geradezu zu seinem Wesen, sonst wäre er vermutlich ein Stumpfbold; der Mann ist immer ein Ganzer und entzieht der Gegenwart nichts. Seine Sehnsucht, die den anderen Menschen verborgen bleibt, ist immer schon eine irgendwie überwundene Sehnsucht; und je mehr er zu überwinden hat, um immer ganz gegenwärtig zu sein, desto geheimnisvoller und vertrauenswürdiger wird er im Grunde seines Wesens für die Mitmenschen, insbesondere für jüngere, die noch auf dem Wege sind, den er schon durchschritten hat. Wünsche, an die wir uns zu sehr klammern, rauben uns leicht etwas von dem, was wir sein sollen und können. Wünsche, die wir um der gegenwärtigen Aufgabe willen immer wieder überwinden, machen uns - umgekehrt - reicher. Wunschlosigkeit ist Armut.

In meiner jetzigen Umgebung finde ich fast nur Menschen, die sich an ihre Wünsche klammern und dadurch für andere Menschen nichts sind; sie hören nicht mehr und sind unfähig zur Nächstenliebe. Ich denke, auch hier muß man leben, als gäbe es keine Wünsche und keine Zukunft, und ganz der sein, der man ist. Es ist merkwürdig, wie sich andere Menschen dann an uns halten, ausrichten und sich etwas sagen lassen.

Ich schreibe Dir das alles, weil ich denke, daß Du in dieser Zeit auch eine sehr große Aufgabe hast und weil Du später froh sein wirst im Gedanken daran, daß Du sie erfüllt hast, soweit es ging. Wenn man einen Menschen in Gefahr weiß, möchte man ihn ganz als den wissen, der er ist. Es gibt erfülltes Leben trotz vieler unerfüllter Wünsche; das ist es wohl, was ich eigentlich sagen wollte. Verzeih, daß ich Dir immer wieder mit solchen »Betrachtungen« komme, aber ich lebe eben hier vorwiegend in der Betrachtung und Du verstehst das schon richtig.

 

19.3.1944. Widerstand und Ergebung (DBW 8)

 

 

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