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Eugen Drewermann

ZUM NEUNTEN SONNTAG

 

Nachdem er all seine Worte dem Volk zu Ohren vollendet hatte, kam er nach Kafarnaum hinein. Eines Hauptmanns Knecht aber war übel dran, es ging zu Ende mit ihm - der war ihm teuer. Als er aber von Jesus hörte, sandte er zu ihm Älteste der Juden, ihn bittend, er möchte kommen und seinen Knecht hindurch retten. So fanden sie sich bei Jesus ein, ermutigten ihn dringend und sagten: Er ist es wert, daß du ihm das gewährst; denn er liebt unsere Volksgemeinschaft, und er hat uns die Synagoge gebaut. Jesus ging mit ihnen. Als er nicht mehr weit vom Haus weg war, schickte der Hauptmann Freunde und ließ ihm sagen: Herr, bemühe dich nicht. Ich bin ja nicht genug, daß du unter mein Dach kommst. Darum hielt ich mich auch nicht für wert, zu dir zu kommen. Aber sprich ein Wort, so wird mein Bursche geheilt. Denn: Auch ich bin ein Mensch unter Vollmacht gestellt, und ich habe Soldaten unter mir. Sage ich zu einem: »Geh!«, so geht er; und zu einem anderen: »Komm!«, so kommt er; und zu meinem Knecht: »Tu das!«, so tut er es. Als Jesus das hörte, staunte er über ihn, wandte sich um und sprach zu den Leuten, die ihm nachfolgten: Ich sage euch, nicht einmal in Israel habe ich so großen Glauben gefunden. Und zurückgekehrt ins Haus, fanden die Ausgeschickten den Knecht gesund. LK 7,1-10

 

Die Gestalt des Hauptmanns von Kafamaum ist zum Vorbild und zum Typ des Glaubens überhaupt geworden. Uns imponiert die Schlichtheit und die Geradheit seines Vertrauens, mit dem er sich an Christus wendet. Uns beeindruckt die Demut seiner Haltung, mit der er es kaum wagt, Jesus zu bitten, und sich scheut, ihm auch nur unter die Augen zu treten. So sehr hat die Gestalt dieses Mannes das Christentum bestimmt, daß wir im Ritus der Messe unmittelbar vor dem Empfang der Kommunion die Worte dieses sonst unbekannten römischen Legionärs nachsprechen und uns ganz und gar mit ihm identifizieren. Einem jeden von uns, so geben wir damit zu verstehen, müßte Gott helfen wie aus todbringender Krankheit. Jeder von uns bringt zu Gott eine Vielzahl von Not und Leid, denen gegenüber wir selber nicht ein noch aus wissen, und wir können sie nur Gott in die Hände geben. Nie sind wir dabei wert, Gott in unseren Dingen zu bemühen, und wir können nur auf sein Erbarmen hoffen. Was bleibt uns anderes, als die Worte dieses Hauptmanns nachzusprechen?

Dennoch sind sie uns zunächst einmal merkwürdig fremd. Sie widersprechen unseren Erfahrungen und, mehr noch, im Grunde auch unseren Überzeugungen. Wie denn, wir leben in einer Welt, in der Gott tun kann, was er will, wenn er nur will? Es wäre nur nötig, daß Gott kommandiert und das Leiden verschwindet, einfach weil wir ihn darum anrufen; und wir sähen die Allmacht des Allmächtigen richtig, wenn wir ihm zutrauen, er bringe zum Verschwinden alles, was es an Krankheit, Plagen, Qual und Leiden auf der Erde gibt, einfach nur, weil er's befiehlt wie ein Hauptmann seinen Leuten?

Dieses Weltbild quält bis zum Widerspruch, und es paßt nicht in die Geschichte, die wir kennen. Ein solches Bild paßt nicht zu Auschwitz und Dachau, paßt nicht zu den Kriegen, paßt nicht zu dem millionenfachen Elend. Offensichtlich will Gott nicht oder kann Gott nicht, daß das Leid auf der Erde mit einem Federstrich ausgeräumt wird. Und fast möchte man sagen, ja ganz sicher sogar muß man sagen: Es handelt sich so fast um eine Art Magie.

Wir müssen die Geschichte vom Hauptmann von Kafarnaum, wenn wir sie in unserer Zeit nachdenken, in ihrer ganzen Herausforderung lesen, noch einmal und ganz neu. Wir können von Gott nicht erwarten, daß er seine Welt zugunsten der Bedürfnisse jedes einzelnen einrichtet, und es wird dem Schöpfer nicht gerecht, daß er das Werk der Welt jederzeit korrigiert und ändert. Die Welt als ganze, wie sie ist, ist vollkommen. Zu ihr gehört auch das Leid, auch die Not, und sie wird nicht geändert, weil einzelne das möchten. Dies ist eine Wahrheit, wie wir sie so kaum in der Bibel finden, aber wie die ganze Neuzeit sie uns lehrt. Wir können nicht daraus entkommen. Wir können auch nicht im Namen des Glaubens verlangen, daß wir so nicht denken dürften. Diese Bitterkeit muß stehenbleiben.

Dann aber gibt es etwas anderes, und dies lebt offensichtlich in der Person Jesu: daß es möglich ist unter Menschen, jeden Schmerz und jedes Leid absolut ernst zu nehmen. Dies steht nicht im Widerspruch zur Gleichgültigkeit der Natur, es ist ein einfacher Ausdruck unserer Menschlichkeit. Wir selber fühlen oft so wie der Hauptmann von Kafarnaum. An unserer Seite sind Menschen, die uns anvertraut sind und mit denen wir aufs engste zusammenhängen. Wir leiden unter deren Leid und können es nicht im mindesten lindem, so daß wir eigentlich darüber in Verzweiflung geraten müßten. Wir sehen, daß es nach aller menschlichen Voraussicht sogar aussichtslos scheint, und jede Hoffnung möchten wir fahrenlassen.

Ist es dann nicht unendlich viel wert, wenn wir mindestens an der Möglichkeit festhalten, Menschen zu bleiben? Ist es dann nicht unendlich kostbar, wenn ein noch so paradoxes Vertrauen uns darin bestärkt, daß Gott auf unserer Seite ist, gleichgültig was geschieht, und wenn vor allem die Verbundenheit zwischen uns Menschen nicht nachläßt, durch keine noch so engen Grenzen unseres Handlungsspielraums? Es gibt so viele Dinge, bei denen wir uns jede Art von Magie verbeten müssen. Und dennoch bleibt dieser Vertrauensvorschuß, dieser Rest an nahezu irrationaler Hoffnung, mit der wir zueinanderstehen und gemeinsam vor Gott hintreten. Dann ist es wahr, daß viel Leid in der Tiefe überhaupt nur daher kommt, daß wir vor lauter Angst verstört sind. Dann hat die Bibel recht, wenn sie sagt: es gibt so viele Krankheiten, die nur darin bestehen, daß wir uns selber nicht ins Leben wagen. Zu all dem Leid, das zur Natur gehört, gibt es womöglich noch viel mehr an Elend, das durchaus nicht sein müßte und das wir Menschen uns besorgen durch viel zuviel an Sorgen.

In diesen Zonen unserer Angst, in diesen Bereichen unserer Hoffnungslosigkeit ist es unendlich wichtig, Menschen zu begegnen, die zu uns stehen. Unser Vertrauen kann sein, wie es will, es hat die Macht, zu wirken: auf uns selber, bis in den Organismus hinein, auf die Art, wie andere die Welt erleben. Es gibt Vertrauen, das Leben rettet. Dies ist eine wunderbare Wahrheit, oft der einzige Trost, ganz sicher oft das einzige, woran wir festhalten können, was sich nicht machen läßt, was aber als Geschenk sich begibt. Und es ist eine Wahrheit jenseits der Grenzen irgendeiner Religion. Ganz sicher soll man diesen Text vom Hauptmann aus Kafarnaum im Evangelium so lesen, daß auch die Heiden den Gott Israels anerkennen. Dort, wo man Jesus begegnet, ist es, wie wenn man eintritt in den Tempel Salomos; und wie damals, zur Zeit des größten Königs Israels, die Heiden von den Enden der Welt kamen, um ihm zu lauschen und Gott nahe zu sein, so sollen und werden jetzt, hofft der Evangelist, von den Enden der Welt her alle Völker im Bekenntnis zu Christus kommen.

Das Umgekehrte aber wird vielleicht auch gelten: daß nicht nur die Heiden zu Christus kommen, sondern daß Jesus anerkennt, was in dem Herzen eines in Sachen Gottes so gut wie unbelehrten Menschen vorgeht. Die Not, die Angst, die Hoffnungslosigkeit von Menschen kennt keine Grenzen, hört nicht auf an den Demarkationslinien irgendeines Landes oder an den dogmatischen Definitionen irgendeiner Religion. Und umgekehrt auch: Was Menschen von Gott erbitten, wie sie zu ihm rufen, wie sie versuchen, gegen alle Hoffnung Vertrauen zu setzen in das Unsichtbare, auch dies gehört zu allen Menschen, wo immer man ihnen begegnet. Wäre nicht zu erwarten, zu wünschen und zu hoffen, es möchte sich die Religion Jesu Christi eines Tages so begründen, daß sie aufruht auf der Unmittelbarkeit solchen Glaubens, daß sie jeden Menschen respektiert in seinem Leid, ihm den Segen Gottes zutraut in jedem Akt seines Vertrauens und daß es keine Grenzen mehr gibt zwischen Jerusalem und Rom oder zwischen Kafarnaum und Nazaret? Gott ist der Gott aller Menschen, und es gibt nichts, was sich seinen Händen entzöge. Die Natur wird sich bewegen, wie sie muß, aber unser menschliches Herz darf sein, wie es kann.

 

(Zwischen Staub und Sternen)

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